European Masters Games 2011 in Lignano vom 10.9.2011

Das Wunder von Lignano: Olympia-Bronze über 10.000 m!!!

Ursprünglich wollte ich die European Masters Games (Olympische Spiele des Kontinents für Athleten über 35 Jahre) in Lignano nicht laufen und schrieb schon vor Thionville im Frühjahr, dass der dortige EM-Halbmarathon mein heuriger Saisonhöhepunkt sein würde, egal was ich Herbst noch laufen würde – es sollte anders kommen :-) Obwohl die Startgebühr in Lignano mit EUR 102,-- sehr hoch war, sah ich die Vorteile einer Pkw-Anreise (im Gegensatz zu Thionville) und die Möglichkeit der Kombination mit einem Strandurlaub. So reisten wir zwei Tage vor dem Rennen am Donnerstag an, wobei ich nach der Ankunft hundemüde war und mir noch zu allem Überdruss beim Einkaufen im Supermarkt die Leiste verknackste. Ich wusste zwar, dass dies bis Samstag ziemlich sicher vergehen würde, war aber trotzdem sauer, da ich zwar öfters Leistenprobleme habe, aber diesmal waren sie besonders schmerzhaft. Ich legte mich daher bereits um 22.00 Uhr ins Bett und schlief auch am nächsten Tag noch zwei Stunden am Nachmittag. Müde war ich damit am Tag vor dem Rennen nicht mehr, wie auch die Leistenprobleme verschwunden waren. Am Renntag saßen wir dann in einer zugigen Pizzeria, wo noch dazu das Essen eher fett war. Meine Nase triefte. Ich war alles andere als zuversichtlich. Als ich meiner Frau meine Nervosität mitteilte, schenkte sie mir spontan noch vor der Fahrt zum Stadion ein Glücksarmband in den bgld. Landesfarben rot-gold. Im Stadion angekommen gab es die nächste Enttäuschung: Von meinen vier Konkurrenten um Edelmetall fehlte gerade der Langsamste. Ich rechnete somit fix mit Rang 4, was mir aber positiverweise jeden Wettkampfdruck nahm.

Rennverlauf: Aufgrund der Besonderheiten dieser „Spiele“ berichte ich hier gesondert vom Vorfeld des Rennens (der unmittelbare Rennverlauf folgt im nächsten Absatz): Der Start war für 18.25 Uhr vorgesehen, wobei man sich spätestens 18.00 Uhr im Call Room melden musste. Ich fragte, ob man aus diesem nochmals raus dürfte, wenn man mal drinnen sei. Als dies verneint wurde, ging ich zurück zu Andrea und Theodor und traf die letzten Vorbereitungen, um schließlich kurz vor 18.00 Uhr den Call Room zu betreten. Dort wimmelte es nur so von Offiziellen: Einer prüfte, ob beide Startnummern (Brust und Rücken) angebracht waren. Der nächste erklärte, wo man seine persönlichen Sachen deponieren müsse und wo man sie wieder bekäme. Der nächste montierte einem den Chip am Schuh. Schließlich wurde man noch beim Aufwärmen beobachtet, sodass man nicht einen bestimmten (sehr kleinen) Bereich verlassen konnte. Dort traf ich meinen österreichischen Mitstreiter, Markus Knasmüller, der mich freundlich begrüßte und mit dem ich mein Aufwärmprogramm bestritt. Plötzlich wurden wir einzeln aufgerufen und in einer Reihe im Innenraum des Stadions aufgestellt. Im Gänsemarsch ging es dann zehn Minuten früher als geplant zur Startaufstellung. Ich stand sehr weit außen, Markus gar auf der äußersten Bahn. Es wurden nochmals unsere Chips kontrolliert, ehe das Kommando „On your marks!“ ertönte.

Mit dem Startschuss hetzten alle los, wobei ein Teilnehmer aber sogar noch hinter mir blieb, was mich überraschte. Mein Plan war 4:30 min/km zu laufen. Dies bedeutet Rundenzeiten von 1:48 min sowie 27 sec für die 100 m. Sollte ich dies durchhalten, wäre es für mich pB, was ein kühnes Unterfagen war, da es zur Startzeit 28 Grad im Schatten hatte – nur der Schatten war nur auf einem Drittel der Stadionrunde vorhanden… Die ersten 100 m schaffte ich exakt in 27 sec, was ein positives Zeichen war. Auch die ersten zehn Runden konnte ich jeweils prima in den geplanten 1:48 min absolvieren. Das Ausrechnen der Zeit für das Ende der nächsten Runde machte Spaß und die Rundenlauferei abwechslungsreich. Kurz nach Halbzeit des Rennens riss der Schlendrian bei mir ein. Auch beim HM ist es meistens so, dass ich zwischen 50 % und 75 % der Renndistanz „bummle“, im letzten Viertel dann das Gaspedal aber wieder finde. Genau in diesem letzten Viertel bemerkte ich dann einen Teilnehmer meiner Alterklasse M40 (Anm.: Im gleichen Rennen liefen auch die M35 und M45) rund 100 m vor mir. Er hatte ungefähr das gleiche Tempo wie ich, wobei er ca. bei jeder zweiten Runde eine Trinkpause einlegte. Durch die vielen Überrundungen (auch durch Teilnehmer der M35 und M45) wusste ich nicht, ob dieser Athlet mich ebenfalls bereits überrundet hatte oder noch in derselben Runde mit mir war. Da ich meine Medaillenchance keinesfalls herschenken wollte, plante ich, ihn jedenfalls zu überlaufen. Ich lief also kontinuierlich heran und spekulierte, dass er auf der 23. von 25 Stadionrunden wahrscheinlich nochmals trinken würde. Sollte dies nicht passieren, würde ich dann meinen Angriff starten, um einem eventuellen Schlusssprint aus dem Weg zu gehen. Tatsächlich steuerte mein italienischer Widersacher nochmals die Labestation an, wo ich ihn überlief. Ich nahm sofort meine Beine in die Hand, um klare Verhältnisse zu schaffen. Vor allem auf den Geraden drückte ich aufs Tempo, da er dort den größer werdenden Abstand am besten sah und am meisten demoralisiert würde. Am Beginn der vorletzten Runde wurde es für mich spannend: Würde mein italienischer Kontrahent nun die Schlussglocke bekommen, wäre ich auf Rang 4, ansonsten Dritter. Ich lief also nicht zu weit weg (rund 50 m), um die Glocke (hoffentlich nicht) zu hören. Tatsächlich ertönte keine Glocke, und ich gab euphorisch noch einmal Gas. Vor Beginn der letzten Runde rief ich meiner Frau und meinem Sohn von der Zielgeraden aus dann auf die Tribüne zu, dass ich Dritter sei. Ich glaube, die Deutsch sprechenden Zuschauer daraufhin Lachen gehört zu haben ;-) Die letzten 400 Meter waren dann natürlich nur mehr Kür. Ein einziges Mal blickte ich mich sicherheitshalber noch um, als ich auf die Zielgerade bog (Anm.: Dies tat ich vorher auch nur äußerst sparsam, um den Gegner nicht vielleicht stark zu machen.). Mein Gegner war zu diesem Zeitpunkt auf der gegenüberliegenden Kurve, hatte also 200 m Rückstand. Am Beginn der Zielgerade riss ich dann schon einmal die Arme jubelnd in die Höhe, dann winkte ich Andrea und Theodor zu, um schließlich schreiend durchs Ziel zu laufen. Was ich genau schrie, weiß ich nicht mehr. Dies ist eine Analogie zu meinem Marathonfinish in Bregenz, wo ich auch nicht mehr weiß, was ich dort auf der halben Stadionrunde alles „aufführte“.  Als ich mit 45:13 min (pB) die Ziellinie überquert hatte und dort niedersank, wurde ich zunächst gefragt, ob ich O.K. sei, was ich bejahte. Ich musste aber sofort die Laufbahn verlassen und traf im Kleiderzelt  Markus Knasmüller, der rund eine Minute vor mir ins Ziel gelaufen war und Silber geholt hatte. Wir konnten unsere Freude somit teilen, was noch schöner war, als in diesen Momenten alleine zu sein. Rund zwei Minuten später standen auch schon Andrea und Theodor vor mir, denen ich nur zurief: „Und jetzt die Hände zum Himmel…“

Strecke: Die  400m-Bahn im Stadio Teghil in Lignano ist definitiv schnell. Es trainiert dort seit Jahren die jamaikanische Sprint-Nationalmannschaft um Usain Bolt und Asafa Powell. Der beinamputierte 400m-Läufer Oscar Pistorius aus Südafrika erbrachte auf dieser Bahn sein WM-Limit für Daegu. Auf den Längsseiten gibt es je eine Tribüne – die größere Haupttribüne auf der Zielgeraden.

Organisation: Ich habe noch niemals an einem derartig aufwändigen Sportereignis teilnehmen dürfen! Die EM in Thionville hatte dagegen jedenfalls Volkslaufcharakter. Dass es im Call Room von Personal nur so wimmelte, habe ich bereits geschrieben. Aber auch überall anders war man fast überbesetzt – und das Wichtigste: die Menschen waren freundlich und kompetent. Die Akkreditierung fand in einen eigenen Halle unweit des Stadio Teghil statt, wo eine Art „Marathon-Expo“ angeschlossen war. Nach der Akkreditierung, wo mittels Webcam ein Foto von einem geschossen wurde, erhält man sein „Welcome-Bag“. Danach ging ich zum Schalter „Athletics“, wo ich meine Startnummer ausfasste. Von dort wurde ich ins Stadio Teghil geschickt, wo ich mich unter der Tribüne für das Rennen registrieren musste. Die Abwicklung des Rennens selbst war aufgrund der vielen Offiziellen natürlich tadellos.

Wetter: Zur Startzeit um 18.14 Uhr (statt 18.25 Uhr) hatte es 28 Grad im Schatten. Leichter Gegenwind war in der Kurve zur Zielgeraden zu verspüren. Es war für einen Laufwettkampf – auch durch die Schwüle – definitiv zu warm.

Spezielles/Statistisches: 10 Wettkämpfe nach meinem ersten Rennsieg (48. Wettkampf = UNIQA-Lauf) errang ich in meinem 58. Rennen erstmals Edelmetall. Bei meiner Olympia-Premiere war ich erst zum dritten Mal auf der Bahn im Einsatz. Nach 3.000 m und 5.000 m absolvierte ich mit den 10.000 m die längste olympische Stadiondistanz. Mit meinem 10. internationalen Auftritt war ein Jubiläum zu feiern, wobei mit dem Rennen in Italien gleichzeitig alle österreichischen Nachbarländern von mir rennmäßig absolviert sind (Ausnahme: Liechtenstein, da es dort dzt. kein geeignetes Rennen für mich gibt).

Resümee: Ich habe davon geträumt, aber absolut nicht damit gerechnet, meinen Familien-Urlaub in Italien mit einer Medaille im Reisegepäck zu beenden. Zwar war ich voll fokussiert und dachte eine Woche vor dem Rennen an nichts anderes mehr. Auf der Anreise redete ich mir ein, dass es für mich nur einen „Plan A“ gibt: persönliche Bestzeit laufen und dann schauen. Als ich am Call Room angeschlagen sah, dass meine schnellsten Konkurrenten für die 10.000 m registriert waren, rechnete ich mit Platz 4. Dass sich in der 23. Runde eine Medaillenchance auftat, die ich dann tatsächlich nutzte, macht mich „stolz wie Oskar“. Tatsächlich freute ich mich bei der Medaillenehrung so ausgelassen wie nur ein zweiter Athlet (laut meiner Frau einer aus der M80). Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, bei der Siegerehrung einer internationalen Veranstaltung aufs Podium steigen und die Gratulationen der Offiziellen entgegennehmen zu dürfen und die Medaille um den Hals gehängt zu bekommen.

DANKSAGUNG

Als Zusatzpunkt darf, kann und muss ich in diesem Bericht Danksagungen aussprechen:

-    Ich danke in erster Linie meiner Familie, die mich in den letzten Jahren bei meinem Laufsporthobby durch ganz Österreich und halb Europa begleitet hat. Es ist nicht selbstverständlich, als Jungfamilie von Thionville im Norden bis Lissabon im Süden bzw. Nizza im Westen bis Prag im Osten zu reisen.  Wir haben in Lignano durch unsere gemeinsame Medaille jetzt die Ernte für diesen Aufwand einfahren können und auch einen schönen Strandurlaub verbracht. Danke Andrea und Theodor!


-    Meiner Trainerin Ruth Schneeberger gebührt ein Riesenstück der Bronzenen! Sie hat mich in den letzten Jahren läuferisch kontinuierlich weiterentwickelt und mir quasi alles beigebracht, was ich heute kann. Auch waren die letzten beiden Wochen vor den European Masters Games ausschlaggebend für den Erfolg: sehr herausfordernde 1000er im Training bei Hitze sowie das 5.000m-Rennen im Cricket-Stadion brachten mir neben der Tempohärte unbezahlbare Erfahrungen für Lignano. Insbesondere, dass Ruth für das Cricket-Meeting früher ihren Shop in Eisenstadt geschlossen hat  und samt Sohn Stefan extra nach Wien gefahren ist, sei hervorgestrichen. Danke Ruth!

Ausblick: Ich muss zugeben, dass nach diesem bisherigen Höhepunkt meiner Laufkarriere etwas die Luft bei mir draußen ist. Ich wollte zumindest einmal im Leben ein Einzelrennen gewinnen und eine Meisterschaftsmedaille erringen – beides habe ich jetzt geschafft! Auf die Meisterschaftsmedaille habe ich eher bei bgld. Landesmeisterschaften, allenfalls bei österreichischen Staatsmeisterschaften (in einem Team) gehofft. Dass es mit einer internationalen Medaille geklappt hat, ist für mich unfassbar! Ich dachte mir im Vorfeld von Lignano, dass ich entweder diese Chance nutze oder warten muss, bis ich in der M80 oder älter keine Konkurrenten mehr habe… Momentan scheint es mir schwer, mich für den UNIQA-Lauf in drei Wochen zu motivieren. Ich möchte mein derzeitiges Glücksgefühl so lange wie möglich auskosten und auch den Bogen nicht überspannen. Auf den beim UNIQA-Lauf angebotenen Distanzen 5 KM und 10 KM habe ich vermutlich darüber hinaus mein persönliches Bestzeitlimit im heurigen Jahr auch schon ausgereizt. Ich tendiere daher stark dazu, mich aufs HM-Training zu konzentrieren, um auf meiner Lieblingsdistanz noch ein gutes Ergebnis (Saisonbestleistung wäre absolut zufriedenstellend) zu erzielen und somit einen erfreulichen Jahresausklang zu begehen.